Ein krankes System
In der GLB-Zeischrift „Die Arbeit“ Nr. 4/2023 kommentiert Josef Stingl den Zustand des Gesundheitswesens in Tirol
Fehlendes Personal schafft Probleme: Jedes zehnte Tiroler Krankenbett kann aufgrund von Personalmangel nicht belegt werden.
In der Innsbrucker Uni-Klinik ist die Personalsituation noch drastischer, jedes fünfte Bett ist gesperrt, Operationen werden laufend verschoben und die Tagesklinik wurde gänzlich geschlossen.
„Gesperrte Betten, die in Tiroler Pflegeeinrichtungen seit einigen Jahren ein Standard-Krankenbild darstellen, entwickeln sich jetzt auch in den Tiroler Kliniken zu einer ernstzunehmenden Epidemie”, kritisiert in diesem Zusammenhang Pflegeassistent Daniel Spiegl, Sprecher der Gewerkschaftlichen Linke Tirol, und ortet einen massiven Gesundheits-Versorgungsnotstand.
Spitze des Desasters
Und das ist nur die Spitze des Desasters. Es krankt an allen Ecken und Enden. Zu wenig Gesundheits-, Pflege-, und Betreuungspersonal findet man auch bei Hauskrankenpflege, Behindertenbetreuung und der ärztlichen Versorgung. Dazu kommt, dass bis 2030 mit dem Fehlen von rund 75.000 Pflegefachkräften gerechnet wird.
Das Finden von Kassenärzt:innen wird für die Patient:innen immer mehr zu einem Spießrutenlauf und verlangt viel Wartezeit und Geduld ab. Bundesweit sind derzeit rund 300 Planstellen von Allgemeinmediziner:innen und 100 Fachärzt:innen unbesetzt. Auch der ärztliche Personalstand in den Krankenhäusern ist mehr als prekär.
Jetzt sollen in Tirol sogenannte Primärversorgungszentren (PVE) Abhilfe schaffen. Ihre Schaffung und Förderung in Tirol wurde bereits im Arbeitsprogramm des Tiroler Gesundheitsfonds (TGF) aufgenommen, aber es heißt trotzdem warten, warten und nochmals warten.
Starttermin verschoben
Ursprünglich galt der Juli 2023 als Starttermin, dieser wurde dann auf den 1. Oktober verschoben. Doch dieser Vertragsstart heißt noch lange nicht, dass es noch heuer zum ersten Ärzt:innenzentrum nach dem PVZ- Muster kommt.
Ein Problem sind die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Österreichischer Gesundheitskasse (ÖGK) und Ärztekammer. Sie streiten sich, wer der Bremsklotz gewesen ist, dass es in Tirol so lange dauert, bis das erste PVZ eröffnet wird.
Ein weiteres Problem ist, dass die PVZ nicht direkt bei der ÖGK angesiedelt werden und das entsprechende Personal angestellt wird, sondern wieder auf das „Unternehmen Arzt” gesetzt wird und die derzeitigen Interessent:innen so wenig wie möglich investieren wollen und daher auf „einen reichen Geldsegen” von Land und ÖGK warten.
Noch gut aufgestellt?
Wenn dem Gesundheitsminister Johannes Rauch zu diesen Krankheitssymptomen unseres Gesundheitssystems nur die Wortwahl „noch gut aufgestellt” einfällt, ist das skandalös und grenzt an akuter Arbeitsverweigerung. Denn es braucht ein sofortiges Ende des amateurhaften Werkelns.
Österreichs Gesundheitssystem gehört wieder an den Interessen der Versicherten und der in diesem Sektor Beschäftigten ausgerichtet. Das verlangt unter anderem die Zurück- drängung von Wahlarztpraxen zugun- sten flächendeckender kasseneigener Primärversorgungszentren.
Im Pflegebereich braucht es ausreichend gut ausgebildete Pflege- und Betreuungskräfte, angemessene Bezahlung, verkürzte Arbeitszeiten, planbare Arbeitszeiten und eine Ausbildungsoffensive mit existenzsichernder Ausbildungsentschädigung bzw. Einstiegsentlohnung (analog der Polizeischüler:innen).
(Josef Stingl ist stv. Bundesvorsitzender des GLB und Aktivist bei der Gewerkschaftlichen Linken)